Interview mit Pavel Steiner, 2. Teil: Die Bedingungen von FlixBus haben mich an Fußball erinnert
Im ersten Teil des Interviews mit Pavel Steiner hat er sich an seine Fußballkarriere und die Lektionen erinnert, die er in ihrem Verlauf gelernt hat und die ihm anschließend beim Aufbau des eigenen Unternehmens halfen. Im zweiten Teil des Gesprächs schildert er den allmählichen Aufstieg der Gesellschaft Umbrella Mobility. Wie wurde die Firma durch die Partnerschaft mit FlixBus beeinflusst? Und warum hat sie ihre Dienstleistungen kürzlich auch auf den Bereich des Stadt- und Nahverkehrs ausgedehnt?
Ist die Gesellschaft seit 2005, als sie die ersten Büros bezog, nur gewachsen?
Eine Weile ja, aber danach kam leider ein Einbruch. Ich hatte damals einen Gesellschafter, der eine junge Dame mit großen Vorzügen, aber auch Ansprüchen kennenlernte, die er nicht schaffte zu befriedigen. Und er tat dann etwas, was er nicht hätte tun sollen und ist für sieben Jahre im Gefängnis gelandet. Und mit ihm bin auch ich ganz unten angekommen. Er hat die Firma verschuldet, gefälschte Rechnungen ausgestellt und auch andere Firmen hineingezogen. Es war wirklich schlimm. Damals habe ich wortwörtlich alles verloren. In einem Moment hat man eine sehr gut laufende Firma und im anderen hat man nicht einmal Geld für die Butter auf dem Brot. Auf der anderen Seite – ich halte mich an das Motto, dass man niemals aufgeben darf. Man muss immer kämpfen, an sich und an das Team glauben, das man um sich hat. Also habe ich 2006 angefangen, die Firma neu aufzubauen, von Null angefangen. Und als wir schließlich wieder oben waren, kam im Herbst 2008 die Finanzkrise.
Au.
Ja. Und weil wir auf Firmenklientel ausgerichtet waren, hat sie uns selbstverständlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Daher sehe ich diese Zeit als einen weiteren Prüfstein an. Wir schafften es aber schließlich, die Probleme zu bewältigen, auch wenn das bis 2011 dauerte. Damals hatten wir neben PKW auch bereits etwa 14 Busse. Ihr Kauf war ein logischer Schritt, weil wir in dem Moment, in dem unsere Kunden zu einer größeren Veranstaltung oder einem Teambuilding fahren wollten, neben PKW und Minivans auch einen Bus gebraucht haben. Wir haben damals verschiedene Verkehrsunternehmer angemietet, aber es gab immer irgendwelche Probleme, die Qualität war nicht ausreichend. Bis es mir eines Tages wieder keinen Spaß mehr gemacht hat und ich den ersten Bus gekauft habe. Und um die Busse auch entsprechend anderweitig zu nutzen, begannen wir, uns auch dem Incoming- und Outgoing-Verkehr zu widmen.
Sie hatten damals mehr als 100 Autos, Busse. Welche Vision hatten Sie für die Entwicklung der Firma?
Damals kamen verschiedene Apps für den privatwirtschaftlichen Verkehr auf den tschechischen Markt, es tauchte Uber auf, Tik Tack und weitere fingen an. Und das Business mit den Limousinen hörte allmählich auf, für mich Sinn zu machen. Wir drehten uns im Kreis – was wir in der Saison verdienten, gaben wir außerhalb der Saison wieder aus. Wir konnten nicht von der Stelle kommen. Damals kam es in Deutschland zur Öffnung des Marktes mit Fernbuslinien, und es entstanden Gesellschaften wie MeinFernbus, DeinBus, FlixBus, PostBus und MegaBus. Und Helmut Schuster, der damalige Personalchef von Škoda Auto, mit dem ich bekannt bin, sagte mir, dass wir es versuchen sollen, dass dieses Business für uns wie gemacht ist. Ich habe sechs Jahre in Deutschland gelebt, ich kenne es, ich kenne dort eine Menge Leute, aber dennoch ist es nicht so einfach, in Deutschland eine Firma aus Tschechien zu etablieren. Schließlich sagte ich mir, dass wir es einfach versuchen und sehen werden. Ich setzte mich mit PostBus in Verbindung, wo ich den Vorstandsvorsitzenden kannte, weil PostBus eine Tochter von DHL ist und DHL 10 Jahre zu unseren Kunden gehörte. Er bot uns an, für PostBus eine Linie aus Prag nach München und Berlin zu betreiben. Mir gefiel aber die Marke der Busse, mit denen sie fuhren, nicht richtig, und daher kam mir der Gedanke, auch weitere Gesellschaften anzusprechen, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit es gibt. Bei mir haben sich die beiden größten Firmen MeinFernbus und auch FlixBus gemeldet. Und gerade aus dem Treffen mit dem Chef von FlixBus André Schwämmlein und seinen Managern hatte ich das beste Gefühl. Sie waren aufrichtig und sagten auch laut die Negativa, was mir gefallen hat. Die Ausgangsstartbedingungen waren zwar bei ihnen von allen drei Firmen die schlechtesten, aber mir hat an ihnen gefallen, dass sie ähnlich eingestellt waren wie im Fußball – Grundgehalt, das nicht hoch ist, aber sehr gute Prämien für gute Ergebnisse. Außerdem konnte ich die Busse kaufen, die ich wollte.
Wie wichtig ist die Marke des Busses?
Für mich war ausschlaggebend, dass der betreffende Hersteller hier die entsprechenden Strukturen, Werkstätten und komplette Dienstleistungen, einschl. der Finanzierung der Fahrzeuge, anbietet. Daher war EvoBus für mich eine klare Wahl, weil EvoBus die Marken Setra und Mercedes Benz vertritt. Außerdem kaufen wir noch die Marken MAN und Neoplan. Diese vier Marken haben sich bei uns bewährt, und wir sind mit ihnen zufrieden. Nach drei Verhandlungsmonaten einigten wir uns mit FlixBus, und ab November 2014 begannen vier unserer Busse auf den Linien Prag – Mainz und Prag – Düsseldorf zu fahren. Im Frühjahr 2015 kauften wir dann weitere 4 Busse und nahmen die Linien Prag – Hamburg und Prag – Wien – Berlin dazu. Bis Ende 2015 kauften wir noch weitere 12 Busse, und plötzlich hatten wir 20. Allmählich baute ich um mich herum ein Team von Leuten auf, so dass nicht mehr alles nur eine One-Man-Show war. Gemeinsam schafften wir es, die Strukturen zu schaffen, und bei FlixBus sah man, dass es funktioniert, dass wir Ergebnisse haben. Die weiteren Jahre wuchsen wir sprunghaft, jährlich um etwa 70 %.
Wie haben Sie dieses sprunghafte Wachstum finanziert?
Das ist einfach – man verkauft einfach alles, was man verkaufen kann (Lachen)! In Wirklichkeit war es selbstverständlich viel schwerer. Man muss wissen, dass ein Bus fast eine halbe Million ohne Steuern kostet. Und wir brauchten innerhalb von zwei Jahren 35. Die tschechischen Banken und Leasinggesellschaften kannten uns damals nicht, ein relativ neuer Name war auch FlixBus. Niemand wollte uns damals etwas leihen, die Banken lehnten es ab, mit uns zusammenzuarbeiten, weil wir keine ausreichenden Ergebnisse hinter uns hatten. Damals kamen wir alle in der Firma an unsere Grenzen. Mir lieh mein zu dieser Zeit fünfundsiebzigjähriger Vater alles Geld, was er hatte. Er verpfändete meinetwegen sein eigenes Haus, um mir zu helfen. So sehr hat er an mich geglaubt. Und ich muss sagen, dass diese Verantwortung damals riesig war. Ich wusste, dass ich keinen Fehler machen darf, kein Spiel mit Versuch und Irrtum. Schließlich hat mir wieder der Fußball geholfen. Meine deutschen Partner halfen uns damals, die Türen zu deutschen Finanzinstituten zu öffnen, die uns schließlich die Busse finanzierten. Heute ist das umgekehrt, heute kommen die Leute aus tschechischen Banken von selbst zu uns und bieten uns ihre Dienstleistungen an. Aber wir arbeiten in Tschechien derzeit nur mit zwei Finanzinstituten zusammen, denen wir treu sind, weil sie uns fast von Anfang an zur Seite standen. Und diejenigen, die erst jetzt einsteigen wollen, haben einstweilen Pech.
Sie haben immer parallel auch die Firma Limousine Car Service betrieben?
Bis 2015 ja. Aber die Arbeitsbreite wurde zu groß, und daher habe ich die Firma im April 2016 verkauft. Ich brauchte Geld für die weitere Entfaltung des Busverkehrs, und ich wollte mich auch nur auf eine Sache konzentrieren.
Mit den internationalen Linien ist die Zusammenarbeit zwischen Umbrella und FlixBus noch nicht zu Ende.
Am Ende des Jahres 2016 fiel die Entscheidung, dass FlixBus in der Tschechischen Republik auch innerstaatliche Linien betreiben wird, und als Partner hat man uns ausgewählt. Weil die FlixBus-Manager aber weiterhin in Deutschland saßen, begann ich bereits im Verlauf des Jahres 2015 für sie die Struktur und die Verkaufsstellen in Prag, Na Florenci, und später in Brünn vorzubereiten. Wir verkauften für sie auch Online-Tickets, kümmerten uns ums Marketing und erledigten sämtliche Lizenzen. Das war für mich persönlich wohl die anspruchsvollste Zeit, weil ich neben den Sorgen mit der Entwicklung der Firma Umbrella mit einem Team von Leuten parallel auch den Markteinstieg von FlixBus in Tschechien vorbereitet habe. Im Frühjahr 2017 ist in Tschechien endlich eine FlixBus-Vertretung entstanden, die einen großen Teil der Arbeit übernommen hat, die ich für sie gemacht habe, und im Sommer 2017 starteten wir zusammen mit FlixBus auch den innerstaatlichen Verkehr. Für diesen setzten wir 33 Busse ein, also betrieben wir zusammen mit den internationalen Linien für FlixBus etwa 85 Busse.
Aus den innerstaatlichen Linien hat sich die Umbrella aber allmählich zurückgezogen. Warum?
Bereits als wir das Netz der innerstaatlichen Linien für FlixBus aufbauten und anschließend betrieben, wussten wir, dass wir es tschechischen Verkehrsunternehmen übergeben werden. Einfach deswegen, weil man das insgesamt nicht bewältigen konnte. Die Umbrella hat sich daher komplett aus den innerstaatlichen Linien zurückgezogen, und die Busse, die wir auf diesen Linien betrieben haben, versetzten wir auf internationale Linien, vor allem nach Skandinavien. Heute stellen wir in Zusammenarbeit mit FlixBus den Verkehr in ganz Europa sicher, und wir haben Niederlassungen in Kopenhagen, Hamburg, Berlin und München. Für 2020 und 2021 planen wir dann die Eröffnung von Niederlassungen in Paris und Amsterdam.
Der Stadt- und Nahverkehr, den Sie in Hamburg zu betreiben begannen, war also nur der nächste, logische Schritt?
Ja, das ist eine ähnlich natürliche Entwicklung wie die, als wir von den PKW auf die Busse übergegangen sind. Die Firma Umbrella gehört im Rahmen von FlixBus im Hinblick auf die Größe des Verkehrsunternehmens weltweit unter die ersten drei. Jedes Jahr fahren wir etwa 25 Millionen Kilometer. Es ist also klar, dass sich die Verantwortlichen der betreffenden Städte an uns wenden und nach einer möglichen Zusammenarbeit fragen. Eine Chance kommt immer, auf der Straße liegen jede Menge Möglichkeiten. Es hängt nur davon ab, wie man sie ergreift und ob man bereit ist, hart zu arbeiten. Immer, wenn mich jemand fragt, wie es möglich ist, dass wir so viel Arbeit haben und die anderen nicht, antworte ich, dass ich nie herumgestanden bin und gewartet habe, ob mir jemand etwas gibt. Ich habe immer an allem aktiv gearbeitet. Wir haben in Hamburg schon seit Jahren eine Niederlassung mit den entsprechenden Strukturen, und daher kamen die Vertreter der Stadt Hamburg und dann die Vertreter von Berlin, München und weiteren Städten mit der Frage zu uns, ob wir uns nicht an der City Mobilität beteiligen wollen und können. Witzig ist, dass der Einzige, der noch nicht zu uns gekommen ist, der Vertreter von Prag ist… Und wir haben nach reiflicher Überlegung ja gesagt. Heute betreiben wir den Stadt- und Nahverkehr für Hamburg, und in den nächsten zwei Jahren beginnen wir auch in München und Berlin zu fahren. In Berlin stellen wir im Übrigen schon den Busersatzverkehr sicher.
Sie fahren Ihre Verkehrsmittel auch, Sie haben eine Fahrerlaubnis für Busse und den Segelschein, dazu verfallene „Papiere“ für Diesellokomotiven und Flugzeuge. Ist das für den Chef eines Verkehrsunternehmens eine Notwendigkeit?
Wenn ich zum Beispiel mit einem konkreten Fahrer Probleme kläre, ist das für mich bestimmt einfacher, weil ich diese Firma von der Pike an durchlaufen habe und de facto alle Firmentätigkeiten in irgendeinem Zeitraum selbst gemacht habe. Und die Fahrer nehmen eine Zurechtweisung von mir auch besser an, weil sie wissen, dass ich ihnen das zeigen kann. In der Firma macht eine Geschichte aus der Zeit die Runde, als wir die FlixBus-Niederlassung in Prag, Na Florenci, eröffnet haben. Es ist ein Bus zu uns gekommen, dessen Fahrer eine beengte Stelle nicht durchfahren konnte. Es handelte sich nicht um ein gefährliches Manöver, dort war einfach nur wenig Platz. Die Operatorin hat mich angerufen, und ich habe mich bemüht, ihn zu beraten, wie er das angehen soll. Er hat mir gesagt, dass das nicht geht. Was ein Wort ist, das für mich nicht existiert. Ich habe ihn aussteigen lassen, mich ans Lenkrad gesetzt und diese Stelle durchfahren. Dieser Fahrer war in dem Moment für uns gestorben, weil ein Fahrer, der dort nicht durchfahren kann, wo ich durchfahren kann – also ein Berufskraftfahrer gegen einen Amateur – für die Firma keinen Wert hat.
Fahren Sie heute auch gelegentlich einen Bus?
Vielleicht drei-, viermal im Jahr. Ich bin Mitglied des Klubs Amfora, wenn wir also eine Reise machen, dann fahre ich selbst. Aber ich nehme immer auch meinen historisch ersten Fahrer, Pavel Procházka, mit, der von Anfang an mit mir in der Firma ist, und das ist wirklich ein HERR Chauffeur. Und wenn ich mit Segelfreunden nach Kroatien zur Regatta fahre, dann sitzen ebenfalls wir zwei am Steuer. Und dann, wenn es im laufenden Betrieb der Firma, Gott bewahre, passieren sollte, dass uns auf irgendeiner Linie ein Fahrer ausfällt, dann setze ich mich lieber selbst in den Bus und fahre, als dass wir die Linie ausfallen lassen.
Welche Stellung hat die Firma Umbrella heute im Rahmen von FlixBus?
Die Umbrella ist in der Qualitätsbewertung unter den TOP 20 der mehr als 300 Verkehrsunternehmen im gesamten FlixBus-Netz. Wenn wir in Betracht ziehen, wie groß die Umbrella ist und wie viele Kilometer wir jährlich für FlixBus fahren, dann ist das ein absolut famoses Ergebnis. Wir sind gleichzeitig weltweit eines der drei größten Verkehrsunternehmen von FlixBus und das größte unter den mitteleuropäischen. Wir haben FlixBus nach Tschechien gebracht, und unsere Beziehungen sind wirklich überdurchschnittlich. Innerhalb des Netzes der FlixBus-Partner sind wir auch deswegen außergewöhnlich, weil wir bei Fehlerquote unter 1 Prozent liegen. Das ist eine unglaubliche Zahl, für 2019 bewegen wir uns einstweilen irgendwo um die 0,6 %. Und da stellen wir 5400 Verbindungen monatlich sicher und beschäftigen in Tschechien und Deutschland mehr als 400 Leute. Das sind selbstverständlich Zahlen, die den Deutschen, die für ihre Ordnungsliebe bekannt sind, imponieren. Die Gesellschaft Umbrella ist heute ein fester und untrennbarer Teil von FlixBus, und wir haben für die Zukunft viele gemeinsame Pläne.
Können Sie etwas zu den Wirtschaftsergebnissen der Firma sagen?
Wenn wir das Jahr 2007 nehmen, in dem ich begann, die Firma erneut im Grunde von der Pike auf aufzubauen, so machen wir den Umsatz, den wir damals in einem Jahr gemacht haben, heute in einer Woche. Und wenn wir den Umsatz von 2013 nehmen, also aus der Zeit vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit FlixBus, dann setzen wir das, was wir damals im Jahr umgesetzt haben, heute in einem Monat um. Der Jahresumsatz der Gruppe Umbrella Mobility übersteigt heute 1 Milliarde CZK.
Den ersten Teil des Interviews mit Pavel Steiner finden Sie HIER.
Foto: Umbrella Mobility/Greta Blumajerová und Archiv von Pavel Steiner